Begleitende Autoimmunerkrankungen bei chronischer Immunthyreoiditis
Verfasst von Dr. Georg Zettinig, Wien2003
Ursprünglich veröffentlicht auf www.nuklearmedizin.org
Die chronische Immunthyreoiditis ist eine häufige Erkrankung, die oft mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert ist. In dieser Übersicht werden verschiedene begleitende Autoimmenerkrankungen besprochen und der Einfluss einzelner Erkrankungen auf das diagnostische und therapeutische Management von Patienten mit chronischer Immunthyreoiditis diskutiert.
Einleitung
Die chronische Immunthyreoiditis ist eine Autoimmunerkrankung, bei
der spezifische
Antikörper gegen Schilddrüsenperoxidase (TPO-Antikörper) und Thyreoglobulin
(Tg-Antikörper) eine zytotoxische Autoimmunreaktion vermitteln und unterhalten.
Dies führt zu einer meist schmerzlosen progredienten Zerstörung der
Schilddrüsenfollikel. Die hypertrophe Form geht mit einer durch die
lymphoplasmozelluläre Infiltration bedingten Vergrösserung der Schilddrüse
einher, bei der atrophischen Form kommt es zu fibrotischem Umbau. Bei
beiden Erkrankungen führt die Funktionseinschränkung oft zu einer permanent
therapiepflichtigen Hypothyreose.
Autoimmunerkrankungen
der Schilddrüse treten familiär gehäuft auf. Pathogenetisch besteht
neben Umwelteinflüssen, psychosozialen, und immunologischen Faktoren
auch eine genetische Prädisposition. Beim Morbus
Basedow, bei dem die Autoimmunreaktion durch Antikörper gegen den
TSH Rezeptor vermittelt wird, liegt eine immunogenetische Ursache nahe:
Eine Assoziation der Erkrankung mit dem HLA-System steht außer Zweifel.
Bei der chronischen Immunthyreoiditis scheint das HLA System im Rahmen
der genetischen Prädisposition ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen;
hier wurden aber auch schon zahlreiche Gene außerhalb des HLA Systems
identifiziert.
Geschichtliches
Bereits 1926 beschrieb der deutsche Pathologe Schmidt "eine biglanduläre
Erkrankung (Nebenniere und Schilddrüse) bei Morbus Addissonii".
1981 wurde erstmals der Begriff des polyglandulären Autoimmunsyndroms
(PAS) verwendet: Die Assoziation von zwei oder mehreren endokrinen Erkrankungen,
bei denen autoimmune Mechanismen pathogenetisch eine Rolle spielen.
Das PAS Typ 1 (chronische mucocutane Candidiasis, chronischer Hypoparathyreoidismus,
Nebennierenrindeninsuffizienz) kommt vor allem im Kindes- und Jugendalter
vor, das PAS Typ 2 ist definiert als das gleichzeitige Vorkommen von
Nebennierenrindenisuffizienz, Autoimmunthyreoiditis, und/oder Diabetes
mellitus Typ I.
Die Erstbeschreiber der polyglandulären Autoimmunsyndrome definierten
auch noch ein PAS Typ 3: Die Assoziation einer Autoimmunthyreoiditis
mit Typ I Diabetes mellitus Typ 1, perniziöser Anämie, Vitiligo, Alopecia
areata, oder Autoimmunhepatitis bei intakter Nebennierenrinde. Obwohl
der Begriff des PAS Typ 3 bereits seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts
nicht mehr verwendet wird, zeigten zahlreiche Studien, dass Autoimmunerkrankungen
der Schilddrüse mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert sind.
Morbus Addison
Der Morbus Addison ist ebenso wie der Morbus Basedow mit dem HLA-DQA1 Gen assoziiert; bei der chronischen Immunthyreoiditis besteht ein gemeinsamer Polymorphismus im T-Lymphozyten Antigen 4 Gen. Das gemeinsame Vorkommen von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und Morbus Addison ist die Grundlage des Polyglandulären Autoimmunsyndroms Typ 2 (Schmidt Syndrom).
Dermatitis herpetiformis und Zöliakie
Bereits 1912 erschien der erste Bericht über einen Zusammenhang zwischen
Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und der gluten-sensitiven Dermatopathie,
die eine gemeinsame genetische Prädisposition mit Zöliakie zeigt. Sechs
Studien bestätigten eine erhöhte Prävalenz an Schilddrüsenautoantikörpern
bei Patienten mit Dermatitis herpetiformis; und in einer eigenen
Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Dermatitis herpetiformis
mit der atrophischen, nicht jedoch mit der hypertrophen Form der chronischen
Immunthyreoiditis assoziiert ist.
Bei bis zu 48% der Patienten mit Dermatitis herpetiformis finden sich
erhöhte Titer an Schilddrüsenautoantikörpern, umgekehrt zeigt sich bei
bis zu 4.8% der Patienten mit chronischer Immunthyreoiditis eine Zöliakie.
Aufgrund der hohen Prävalenz sollten daher Zöliakie-Patienten auf das
vorliegen einer chronischen Immunthyreoiditis gescreent werden; immer
sollte auch daran gedacht werden, dass es bei der Entwicklung einer
Zöliakie zur Malabsorbtion der Levothyroxin-Medikation kommen kann.
Diabetes mellitus Typ 1
Bei Patienten mit Typ 1 Diabetes ist die Prävalenz der chronischen Immunthyreoiditis hoch: Bis zu 30% der jungen Patienten haben erhöhte Titer an Schilddrüsenautoantikörpern; bei Frauen mit Typ 1 Diabetes beträgt die Inzidenz der Postpartum-Thyreoiditis bis zu 25%. Hier muss man immer auch die Wechselwirkung zwischen Schilddrüsenhormonen und Insulin beachten: Schilddrüsenhormone steigern sowohl die Insulinsensitivität, als auch den Insulinabbau. Dadurch steigt in der Hyperthyreose der Insulinbedarf.
Vitiligo
1887 erfolgte erstmals die Beschreibung eines Patienten mit Vitiligo und einem Myxödem; zahlreiche weitere Untersuchungen bestätigten einen Zusammenhang zwischen Vitiligo und der chronischen Imunthyreoiditis. Die Hauterkrankung findet sich in bis zu 7% der Patienten mit chronischer Immunthyreoiditis. In einer eigenen Untersuchung an 106 Patienten mit Vitiligo fand sich bei 22% eine chronische Immunthyreoiditis. Die Schilddrüsenerkrankung trat nie vor der Vitiligo auf; sie manifestierte sich stets gleichzeitig oder bis zu 35 Jahre nach der Vitiligo. Bei Patienten mit Vitiligo sollte daher in jährlichen Abständen das TSH kontrolliert werden, um eine Schilddrüsenerkrankung frühzeitig zu erfassen.
Weitere Autoimmunerkrankungen
Bei zahlreichen weiteren Autoimmunerkrankungen findet sich eine Assoziation
mit der chronischen Immunthyreoiditis; diese sind unten m Detail aufgelistet.
Stets sollte an solche Assoziationen gedacht werden, um aus der großen
Zahl der Patienten mit chronischer Immunthyreoiditis jene zu identifizieren,
bei denen weitere begleitende Autoimmunerkrankungen vorliegen.
Organspezifische Autoimmunerkrankungen
Zöliakie / Dermatitis herpetiformis
Morbus Addison
Vitiligo
Diabetes Mellitus Typ 1
ACTH Defizienz
Perniziöse Anämie
Alopezia areata
Vorzeitige Ovarialinsuffizienz
Multiple Sklerose
Myasthenia gravis
Primär biliäre Zirrhose
Goodpasture Syndrom
Chronisch aktive Hepatitis
Nicht organspezifische Autoimmunerkrankungen
Systemischer Lupus Erythematodes
Rheumatoide Arthritis
Systemische Sklerose
Sjögren Syndrom
Juvenile chronische Arthritis
Dieser Artikel wurde 2003 verfasst und entspricht dem Stand des Wissens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.
Literatur beim Verfasser.