Anatomie und Physiologie der Schilddrüse
Verfasst von Dr. Georg Zettinig, Wien
Ursprünglich 2002 veröffentlicht auf www.nuklearmedizin.org
Die Schilddrüse
Die Schilddrüse liegt mit ihren beiden durch den Isthmus verbundenen Lappen beiderseits des Schildknorpels und unterhalb des Ringknorpels.
Im Laufe der Embryonalentwicklung wandert Schilddrüsengewebe zweizipfelig vom Foramen coecum am Zungengrund nach kaudal an Zungenbein und Kehlkopfknorpeln vorbei an die endgültige Lage. Der Ductus Thyreoglossus (ein enger Gang, durch den die Drüsenanlage mit dem Boden des Schlunddarms verbunden ist) bildet sich später wieder zurück, allerdings kann versprengtes Schilddrüsengewebe überall auf dem Weg der Wanderung persistieren (Ductus Thyreoglossuszyste; typischerweise in der Medianen). Häufig zieht noch ein Lobus pyramidalis vom Isthmus nach kranial. Die Nebenschilddrüsen lagern sich in der Embryonalentwicklung an die dorsale Wand der beiden Schilddrüsenlappen an, und wandern mit nach kaudal. Gelegentlich sind sie in die Organkapsel eingeschlossen.
Nach Abschluss der Wanderung liegt der Nervus laryngeus recurrens den unteren Polen der beiden Schilddrüsenlappen an. Das für den Fetus zur Hormonsynthese essentielle Spurenelement Jod wird diaplazentar übertragen, falls notwendig können auch mütterliche Schilddrüsenhormone die Plazentaschranke passieren.
Im Unterschied zu den anderen Hormondrüsen ist die Schilddrüse eine Follikeldrüse (Stapeldrüse), die ihre Produkte extrazellulär in mit Kolloid gefüllten Follikeln ablagert. Zwischen den die Follikel bildenden Thyreozyten liegen die parafollikulären Zellen (C-Zellen), die das Hormon Kalzitonin produzieren.
Normales Schilddrüsenvolumen: < 18 ml bei Frauen, < 25 ml bei Männern.
Physiologie der Schilddrüse
Hormonproduktion
Die Thyreozyten produzieren - gesteuert vom hypothalamisch - hypophysären Regelkreis (Abb. 2) - das Prohormon T4 (Tetrajodthyronin) und das biologisch aktive Hormon T3 (Trijodthyronin). Diese werden an das Glykoprotein Thyreoglobulin gebunden und im Kolloid der Follikel gestapelt; für die Synthese der Schilddrüsenhormone ist das Spurenelement Jod essentiell.
Die einzelnen Schritte der Schilddrüsenhormonsythese im Detail:
o Der Na+/J- Symporter nimmt aktiv Jodid aus dem Blut in die Thyreozyten auf (Jodination).
o Die Schilddrüsenperoxydase (TPO) katalysiert die Oxydation des Jodids zu Jod und den Einbau ins Thyreoglobulin an der apikalen Zellmembran.
o Durch Exozytose werden die beiden ans Thyreoglobulin gebundenen Hormonvorläufer Monojodthyrosin und Dijodthyrosin ins Follikellumen abgegeben. Aus zwei Molekülen Dijodthyrosin entsteht das (zu diesem Zeitpunkt noch immer ans Thyreoglobulin gebundene) Schilddrüsenhormon T4. T3 kann durch Koppelung von Monojodthyrosin und Dijodthyrosin, oder auch durch Dejodinierung von T4 in T3 entstehen. So entsteht auch das biologisch inaktive reverse-T3. Die abhängig vom Jodangebot unterschiedlich jodierten Thyreoglobulinmoleküle werden nun im Follikel gespeichert.
Auch die Ausschüttung von T3 und T4 wird vom TSH stimuliert: Die ans Thyreoglobulin des Kolloids gebundenen Schilddrüsenhormone werden durch Endozytose wieder in die Thyreozyten aufgenommen und enzymatisch zerlegt; anschliessend werden T4 und T3 ins Blut abgegeben.
T3 und T4 im Organismus
Das Verhältnis von T3 und T4 im Plasma beträgt 1:100. Das kurzlebige T3 ist wesentlich wirksamer als T4 und das biologisch aktive Hormon, während T4 mit seiner Halbwertszeit von 8 Tagen vor allem als ein Depot dient, welches das benötigte T3 bereitstellt. Das im Blut zirkulierende T3 stammt nur zu 20% aus der Schilddrüse, der weit grössere Anteil entsteht extrathyroidal durch Jodabspaltung von T4.
Die Typ I 5’Dejodinase katalysiert als wichtigstes Enzym die Umwandlung von T4 in T3 in Organen wie Schilddrüse, Leber und Niere, zusätzlich dazu existieren neben weiteren Dejodinasen auch noch andere Stoffwechselwege.
Die Transportproteine
Nur das freie T3 und das freie T4 wirken an den Zellen; weit über 99%
der Schilddrüsenhormone sind jedoch an Transportproteine gebunden. Das
wichtigste Transportprotein ist das TBG (Thyroxin Bindendes Globulin);
die Affinität der Schilddrüsenhormone zu Transthyretin und Albumin ist
geringer. Durch diese Proteinbindung hat T4 eine biologische Halbwertszeit
im Blut von 8 Tagen. Die Gesamthormonkonzentration wird bei intaktem
hypothalamisch-hypophysärem Regelkreis durch die Konzentration und Zusammensetzung
der Transportproteine bestimmt, um die Menge der freien Hormone konstant
zu halten. Bei Bestimmung der gebundenen Hormone muss daher unbedingt
der Status der Bindungsproteine beurteilt werden, um die Schilddrüsenfunktionslage
richtig beurteilen zu können.
Häufigster Pittfall: Erhöhtes TT4 und erhöhtes TT3 bei normalem TSH
bei Einnahme der „Pille“. Die freien Hormone sind bei diesen Patientinnen
normal.
Wirkung der Schilddrüsenhormone auf den Stoffwechsel
Das freie T3 (und zu einem weit geringeren Anteil auch das freie T4) hat eine direkte Wirkung an Rezeptoren im Zellkern, die nicht-nukleären Effekte sind wohl sekundär. T3 hat eine 10fach höhere Stoffwechselwirkung als T4. Nur die freien Hormone sind biologisch wirksam.
o Steigerung von Sauerstoffverbrauch, Energieumsatz, und Wärmeproduktion
o Beschleunigung der Kohlenhydrataufnahme, Steigerung der Glukoneogenese
o Verstärkte Freisetzung körpereigener Fettbestände, Beschleunigung
von Cholesterinauf- und abbaus
o Förderung der Proteinsynthese
o Aktivierung von Osteoblasten und Osteoklasten
o Steigerung der Myokardkontraktilität, Herabsetzung des peripheren
Gefäßwiderstandes, gesteigerte Erregbarkeit des Erregungsleitungssystems
o Unentbehrlich für Wachstum und Reifung von Skelett, Gehirn und Muskulatur
Schilddrüse und Insulin: In der Hyperthyreose steigt der Insulinbedarf (Insulinsenitivität, aber auch Insulinabbau sind gesteigert)
Hypothalamisch-hypophysärer Regelkreis
Das im Hypothalamus ausgeschüttete TRH (Thyreotropin Releasing Hormon) regt die Hypophyse zu einer verstärkten Ausschüttung von TSH an, was wiederum zu einer gesteigerten Bildung von T3 und T4 führt. In Hypothalamus und Hypophyse wird je nach Konzentration der freien Schilddrüsenhormone im Blut die Bildung von TRH und TSH gehemmt oder angeregt (Abb. 2).
Neben diesem Regelkreis modulieren auch die durch Jod beeinflusste intrathyroidale Autoregulation und lokal in der Schilddrüse gebildete Wachstumsfakuren und Zytokine die Ausschüttung der Schilddrüsenhormone.
TSH ist der empfindlichste Parameter zur Detektion einer Schilddrüsenfunktionsstörung, hinkt aber dem freien Schilddrüsenhormonen gut 10 Tage hinterher. Daher Achtung bei der Interpetation des TSH Wertes bei thyreostatisch behandelten Patienten bzw. anderen KoKonstellationen, bei denen es zu raschen Änderungen der Hormonwerte kommt.
Dieser Artikel ist aus dem Jahr 2002 und entspricht dem Stand des Wissens
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.
Literatur beim Verfasser.