Chronische Immunthyreoiditis Hashimoto
Verfasst von Dr. Georg Zettinig, Wien, 2003
Verfasst als Manuskript für die Zeitschrift "Arzt und Praxis", ursprünglich veröffentlicht auf www.nuklearmedizin.org
Zusammenfassung:
Bei der chronischen Immunthyreoiditis kommt es im Rahmen einer Autoimmunerkrankung zur Produktion von spezifischen Antikörpern (TPO Antikörper, Thyreoglobulin Antikörper), die zu einer chronischen Entzündung in der Schilddrüse führen. Bei vielen Patienten tritt im Rahmen der Erkrankung längerfristig eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) auf. Die chronische Immunthyreoiditis ist häufig und kann mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert sein. In dieser Übersicht wird das Krankheitsbild der chronischen Immunthyreoiditis besprochen und das diagnostische und therapeutische Management von Patienten mit dieser Erkrankung diskutiert.
Einleitung
Der japanische Arzt Dr. Hakaru Hashimoto veröffentlichte 1912 einen
Artikel, in dem er die sogenannte"Struma lymphamatosa", eine
vergrößerte Schilddrüse mit lymphomatöser Infiltration in Verbindung
mit einer Unterfunktion der Schilddrüse beschrieb. Heute ist klar dass
die chronische Immunthyreoiditis eine Autoimmunerkrankung ist, bei der
zwei verschiedene Formen bekannt sind:
1) die hypertrophe Form (wie von Hashimoto beschrieben), bei der es
zu einer Größenzunahme der Schilddrüse (Struma) kommt.
2) die atrophische Form, bei der die Schilddrüse bindegewebig atrophiert.
Pathogenese
In der Pathogenese führen spezifische Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO Antikörper) und Thyreoglobulin (Tg-Antikörper) zur Vermittlung und Unterhaltung einer zytotoxischen Autoimmunreaktion, die eine meist eine schmerzlose progrediente Zerstörung der Follikel verursacht. Die hypertrophe Form geht mit einer durch die lymphoplasmozelluläre Infiltration bedingte Vergrößerung der Schilddrüse einher, bei der atrophischen Form kommt es zu fibrotischem Umbau. Bei beiden Formen führt die Funktionseinschränkung meist zu einer permanent therapiepflichtigen Hypothyreose. Gehäuft findet sich eine Asozation mit anderen Autoimmunerkrankungen.
Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse treten familiär gehäuft auf. Pathogenetisch spielen neben der genetischen Prädisposition (teilweise asoziation mit dem HMA System) auch Umwelteinflüsse, psychosoziale sowie immunologische Faktoren eine Rolle. Das Spurenelement Jod, das für eine gesunde Schilddrüse essentiell ist sollte insbesondere in der Anfangsphase einer chronischen Immunthyreoiditis gemieden werden, da es den Autoimmunprozess weiter anheizt. Hier muss vor allem auf erhoben werden, ob Nahrungsergänzungsmittel eingenmmen werden.
Diagnose
Je nach Erkrankungsverlauf kann sich eine unterschiedliche Schilddrüsenfunktionslage finden: Anfangs zeigt sich meist eine kurze passagere hyperthyreote Phase ("Hashitoxikose") die durch die Zelldestruktion und die darauf folgende Ausschüttung der in den Schilddrüsenfollikel gespeicherten Hormone bedingt ist. In der Folge findet sich wieder eine Euthyreose, langsam bildet sich eine Hypothyreose aus. Oft klagen die Patienten über Globusgefühl.
Das erste diagnostische Zeichen einer chronischen Immunthyreoiditis ist in der Schilddrüsensonografie ein echoarmes Muster, welches durch die lymphoplasmozelluläre Infiltration der Schilddrüse bedingt ist. Das typische echoarme Grundmuster ist meist lange vor den erhöhten Antikörpern nachweisbar. Bei der hypertrophen Form ist die Schilddrüse oft aufgebläht und kugelig konfiguriert, bei der atrophischen Form das Schilddrüsenvolumen herabgesetzt.
Später zeigen sich erhöhte Schilddrüsenantikörper im Blut, erst längerfristig tritt eine latente, später eine manifeste Hypothyreose auf. Bei mehr als 90 % der Patienten finden sich positive TPO Antikörper, in 70 - 80 % sind auch die Thyreoglobulin Antikörper erhöht.
Eine alleinige Erhöhung der Thyreoglobulin Antikörper ist selten. In der Szintigrafie ist die Aufnahme des Radiopharmakons meist vermindert, die Aktivitätsaufnahme meist fleckig inhomogen, die Bilder sind variabel je nach Größe und Herdbefund.
Differentialdiagnostisch muss im Initialstadium von der passageren Hyperthyreose ein Morbus Basedow abgegrenzt werden (hier ist die Szintigrafie zur Differenzialdiagnose essentiell). Im fortgeschrittenen Stadium sind alle anderen Thyreoditiden differentialdiagnostisch zu beachten.
Klink
Bedingt durch den schleichenden Erkrankungsverlauf treten die Symptome einer Hypothyreose langsam auf. Oft findet sich Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Gewichtszunahme. Der Stuhlgang ist verlangsamt, bei Frauen zeigen sich Zyklusstörungen. Die Haut ist kühl und trocken, bei ausgeprägter Hypothyreose kommt es zu teigiger Konsistenz und nicht eindrückbaren Schwellungen (Myxödem).
Oft klagen die Patienten über vermehrten Haarausfall und brüchige Fingernägel, sie sind insgesamt verlangsamt und desinteressiert, es kann eine depressive Verstimmung bestehen. Kältegefühl ist häufig. Bereits bei hochnormalem TSH kommt es signifikant seltener zu Schwangerschaften. Bei bestehender Schwangerschaft kann es zu Fehl- oder Frühgeburten und zu gestörter körperlicher und intellektueller Entwicklung des Feten kommen.
Therapie
Bei der initialen passageren Hyperthyreose, die meist Wochen bis wenige Monate dauert, ist meist keine Therapie erforderlich. Eventuell können symptomatisch Betablocke gegeben werden. Eine thyreostatische Therapie ist hier kontraindiziert.
Über den Zeitpunkt der Substitutionstherapie bei noch bestehender Euthyreose bestehen kontroversielle Ansichten. Zahlreiche Patienten profitieren klinisch bei hochnormalem oder gering erhöhtem TSH Wert von einer Therapie mit Schilddrüsenhormon. Bei Hypothyreose ist eine Substitutionstherapie mit Schilddrüsenhormon erforderlich.
Ziel der Behandlung ist es, im Organismus wieder eine Euthyreose zu erreichen. Dies zeigt sich durch die Normalisierung des TSH Spiegels und der freien Schilddrüsenhormone im Blut. Meist wird die Euthyreose durch Gabe von Levothyroxin (T4) erzielt. Die Anfangsdosis richtet sich nach dem Patientenalter, dem Schweregrad und der ungefähren Dauer der Hypothyreose. Patienten unter 60 Jahren ohne kardiopulmonare Erkrankungen benötigen in der Regel 1,6 bis 1,8 µg T4 pro kg Körpergewicht pro Tag (Frauen 75 - 125 µg, Männer 125 - 200 µg). Im Alter sinkt der Bedarf um 20 bis 30 %.
Ein Gleichgewicht zwischen TSH und fT4 ist frühestens 6 bis 8 Wochen nach regelmäßiger Einnahme von Schilddrüsenhormonen konstanter Dosierung eingetreten. Am Tag der Blutabnahme soll kein Schilddrüsenhormon eingenommen werden, da es sonst zu falsch hoch gemessenen T4 Spiegeln kommen kann.
Mehrere Studien haben gezeigt dass insbesondere in der Anfangsphase ein Senken der Antikörpertiter durch Gabe von Selen (200 µg täglich unter Kontrolle des Selenspiegels) möglich ist. Selen scheint auch den Erkrankungsverlauf zu verzögern. Im fortgeschrittenen Stadium bei Hypothyreose kann Selen allerdings keinesfalls die Therapie mit Schilddrüsenhormon ersetzten.
Begleitende Autoimmunerkrankungen
Die chronische Immunthyreoiditis kann sich bei Patienten mit Zst. n. Morbus Basedow entwickeln bzw. selten in einen Morbus Basedow übergehen. Zahlreiche weitere Autoimmunerkrankungen sind mit der chronischen Autoimmunthyreoiditis assoziiert. Die häufigsten sind Vitiligo und der Diabetes mellitus Typ I. Das gemeinsame Vorkommen von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und der Morbus Addison ist die Grundlage des polyglandulärem Autoimmunsyndroms Typ II (Schmidt Syndrom). Weitere begleitende Autoimmunerkrankungen bei chronischer Immunthyreoiditis sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Tabelle 1:
Typische Befunde der chronischen Immunthyreoiditis im Zeitverlauf:
1) Sonografisch echoarme, lymphoplasmozelluläre Infiltration im Ultraschall
2) Positive Schilddrüsenantikörper (TPO Antikörper, Thyreoglobulin Antikörper)
3) Latente, später manifeste Hypothyreose
Tabelle 2:
Laborbefunde bei chronischer Immunthyreoiditis:
1) Initial pasagere Hyperthyreose, meist keine Therapie erforderlich,
eventuell symptomatisch Betablockertherapie, thyreostatische Therapie
kontra indiziert.
2) Euthyreose, später hochnormales TSH
3) Latente, später manifeste Hypothyreose
Tabelle 3:
Organspezifische Autoimmunerkrankungen:
Zöliakie / Dermatitis herpetiformis
Morbus Addison
Vitiligo
Diabetes Mellitus Typ 1
ACTH Defizienz
Perniziöse Anämie
Alopezia areata
Vorzeitige Ovarialinsuffizienz
Multiple Sklerose
Myasthenia gravis
Primär biliäre Zirrhose
Goodpasture Syndrom
Chronisch aktive Hepatitis
Nicht organspezifische Autoimmunerkrankungen:
Systemischer Lupus Erythematodes
Rheumatoide Arthritis
Systemische Sklerose
Sjögren Syndrom
Juvenile chronische Arthritis
Dieser Artikel wurde 2003 verfasst und entspricht dem Stand des Wissens
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.
Literatur beim Verfasser.